Biodiversität - Ökologischer / naturschutzfachlicher Wert von Streuobstwiesen

Verantwortlicher: Gerald Prüller
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Bild einer Wiese - Foto: David Bock Bild einer Wiese - Foto: David Bock
Ökologischer / naturschutzfachlicher Wert von Streuobstwiesen
Bei Streuobstwiesen handelt es sich oftmals um naturschutzfachlich und ökologisch sehr hochwertige Flächen. Viele seltene und gefährdete Pflanzen- und Tierarten finden in diesen naturnahen Refugien noch geeignete Lebensbedingungen vor.
Häufig sind im Unterwuchs von Obstbaumbeständen bunte, blüten- und artenreiche Wiesenflächen erhalten. Derartige Wiesen sind in den letzten Jahren zunehmend unter Druck geraten, bzw. vielfach aus der Landschaft verschwunden. Magere und artenreiche Wiesenflächen mit Glockenblumen, Margeriten, Witwenblumen oder Wiesen-Salbei sind naturschutzfachlich von großem Wert. Solche Wiesen sind zudem Grundlage für arten- und individuenreiche Insekten-, Vogel- und Säugetierbestände.
Weltweit sinken die Bestände von Insekten drastisch, daher sind Flächen mit arten- und individuenreichen Insektenpopulationen naturschutzfachlich und ökologisch von großem Wert. Eine vitale Insektenfauna ist wiederum Grundlage für das Fortbestehen (Bestäubung, Samenausbreitung) einer artenreichen Wiesenvegetation aber auch für die Bestäubung von Pflanzen, die von ökonomischem Interesse sind, grundlegend. Weiters ist sie zudem, neben anderen Faktoren, eine Grundlage für ein artenreiches Vogel- und Säugetiervorkommen. Bei zahlreichen in Streuobstwiesen anzutreffenden Vogel- und Fledermausarten handelt es sich um mittlerweile stark bedrohte Arten.
Rückkoppelnd hat eine individuen- und artenreiche Vogelfauna positive Effekte auf unsere Streuobstkulturen, indem Schadinsekten in großen Mengen durch Fraß dezimiert werden. So frisst ein Paar Kohlmeisen mit seinen 6-8 Jungen pro Jahr etwa 150 Kilogramm Insekten – eine unvorstellbare Zahl, wenn man bedenkt, dass in guten Streuobstwiesen 3-5 Meisenpaare (neben der Kohlmeise auch noch Blau- und Sumpfmeise) und weitere 10-15 Paare anderer Singvögel pro Hektar brüten können.
Insgesamt betrachtet kommt den Streuobstwiesen – vor allem vor dem Hintergrund einer oft stark durch die ökonomisierte Landwirtschaft geprägten Landschaft und dem damit einhergehenden Biodiversitätsverlust – immer mehr eine zentrale Bedeutung als Biodiversitätsinseln zu.
Kurzbeschreibung Projekt
Im gesamten Mostviertel ist in den letzten Jahrzehnten ein starker Rückgang von extensiv bewirtschafteten strukturreichen Streuobstwiesen, die einen vielfältigen Lebensraum für die Tier- und Pflanzenwelt bieten, zu verzeichnen. Die LEADER Region „Tourismusverband Moststraße“ konzipierte in den letzten Jahren ein umfassendes Programm zum Thema Kulturlandschaftsentwicklung mit einer Vielzahl an Aktivitäten (Ausstellung, Kongress, Naturvermittlung, Literatur), die geeignete, ökologisch, ökonomisch und sozial verträgliche, Rahmenbedingungen schaffen sollen, welche die Pflege und Bewirtschaftung der traditionellen Mostviertler Kulturlandschaft durch die LandwirtInnen langfristig sicher stellen.
Dafür wurden fachliche Grundlagen über die Bedeutung des Lebensraums Streuobstwiese benötigt, die im Rahmen des Projektes „Ökologischer Wert von ausgewählten Streuobstbeständen in der LEADER Region Tourismusverband Moststraße“ erhoben wurden.
Für die Auswahl der im Projekt untersuchten 13 Streuobstwiesen wurden zunächst Gebietsexpertinnen und –experten eruriert. An diese wurde ein Informationsblatt mit einem Kriterienkatalog für einen hohen ökologischen Wert von Streuobstwiesen in Hinblick auf vorausgewählte Schutzgüter gesendet. Die im Rahmen zahlreicher Mails und Telefonate von den GebietsexpertInnen erhaltenen Informationen wurden digital verarbeitet und verortet. In einem nächsten Schritt wurden wichtige fachliche Gundlagen (AMA-Daten, Schutzgebiete, Vorkommen europarechtlich relevanter Lebensräume und Arten) eingeholt und in die bereits bestehenden Daten integriert.
Die GrundeigentümerInnen bzw. BewirtschafterInnen und die zugehörigen Kontaktdaten der vorausgewählten Flächen wurden im nächsten Schritt mit Hilfe der Schlagdaten und der AMA-Datenbank eruiert, Gespräche mit ihnen geführt und die Letztauswahl der Streuobstwiesen fixiert. Nach der Entwicklung von Formblättern und der Erstellung von Freilandkarten starteten die Erhebungsarbeiten.
Die Kartierung der Vogelwelt erfolgte im Rahmen von 2 vollständigen Begehungsdurchgängen aller 13 ausgewählten Streuobstbestände. Der Schwerpunkt des ersten Durchgangs lag hierbei auf der Erhebung der früh brütenden Spechte und Meisen. Der zweite Kartierungsdurchgang erfolgte hingegen mit einem Schwerpunkt auf Gartenrotschwanz und andere später aus ihren Winterquartieren heimkehrende Singvögel.
Fledermäuse wurden mit Hilfe von Batcordern erfasst, die selektiv Fledermausrufe aufzeichnen und oftmals eine artspezifische Auswertung der Rufe ermöglichen. Zusätzlich wurden Fledermäuse in ausgewählten Bereichen mit Netzen gefangen, bestimmt und umgehend wieder freigelassen.
Die Erhebung des extrem seltenen Juchtenkäfers erfolgte durch Nachsuche in Baumhöhlen.
Bei den Erhebungen für die vegetationskundliche Einschätzung des Wiesenbestandes und die Aufnahme der Streuobstbestandesstruktur wurden auf allen Untersuchungsflächen die vorkommenden Biotoptypen bzw. gegebenenfalls auch vorkommende FFH-Lebensraumtypen erhoben. Bei Bedarf wurden unterschiedliche Teilflächen abgegrenzt um später quasi maßgeschneiderte Bewirtschaftungsvorschläge ausarbeiten zu können. Zusätzlich zu den Biotoptypen wurden die diagnostischen / bestandesprägenden Arten sowie dominante und konstante Begleitarten erhoben. In Hinblick auf die Streuobstbestandesstruktur wurden für jede Untersuchungsfläche Erhebungen bezüglich der Anzahl der vorkommenden Bäume pro Obstsorte, der Alterstruktur sowie des Vorhandenseins von Höhlen und Totholz durchgeführt. Parallel wurde für jede Untersuchungsfläche eine Fotodokumentation geführt. Zuletzt wurde für jeden Streuobstbestand eine kurze und möglichst griffige Beschreibung verfasst.
Nach der digitalen Datenverarbeitung wurden Maßnahmenvorschläge für die vorgefundenen Schutzgüter flächenbezogen formuliert. Als bewusstseinsbildende Maßnahme wurde für die GrundeigentümerInnen bzw. die BewirtschafterInnen ein Informationsblatt mit einem Steckbrief der festgestellten Schutzgüter sowie konkrete Erhaltungs- und Verbesserungsmaßnahmen speziell für „ihre“ Streuobstwiese zusammengestellt und dieses mit ihnen im Rahmen von Betriebsbesuchen besprochen.
Lebensräume
In einer Streuobstwiese können nebeneinander zahlreiche unterschiedliche (Klein-)Lebensräume existieren.
Im Unterwuchs der Obstbäume sind Wiesen unterschiedlicher Ausprägung anzutreffen. Die Bandbreite reicht hier von recht intensiv bewirtschafteten und wenig artenreichen Wiesen bis hin zu extensiv bewirtschafteten, bunten und an unterschiedlichen Gefäßpflanzenarten überaus reichen Beständen.
Diese Wiesen und die dort wachsenden Pflanzen –inklusive der Obstbäume- sind Lebensraum für zahlreiche unterschiedliche Insektenarten. Die Obstbäume selbst bieten ein Sammelsurium an unterschiedlichen Kleinlebensräumen. Die Borke stellt Lebensraum für Epiphyten, wie Moose und Flechten, und zahlreiche verschiedene Insekten dar. Das dichte Geäst der Baumkronen ist Lebensraum für zahlreiche Vogelarten, denen wiederum die vorkommenden Insekten als Lebensgrundlage dienen. An alten Bäumen finden sich oft Höhlen, welche von Vögeln, Insekten, Fledermäusen oder vielleicht sogar vom seltenen Juchtenkäfer bewohnt werden. Die blühenden Bäume sind für nektar- und pollensammelnde Insekten von großer Bedeutung.
Artenvielfalt in Streuobstwiesen
Die Wiesen im Unterwuchs von Streuobstbeständen werden aufgrund des Baumbestandes oft weniger intensiv bewirtschaftet als die baumfreien Wiesen im Umland. Durch spätere Schnittzeitpunkte und weniger Düngung ist der Artenreichtum in der Wiesenvegetation im Durchschnitt vergleichsweise hoch. In stark reliefierten Streuobstwiesen (Kuppen, Senken, Hänge) sind oft unterschiedliche Kleinstandorte ausgebildet. Von besonders trockenen über frische bis hin zu feuchten Habitaten und von eher nährstoffreichen bis hin zu sehr mageren Standorten reicht das Spektrum. Eine solche Kleinteiligkeit lässt die Artenvielfalt in den Wiesen nochmals deutlich ansteigen. In - nur mehr selten vorzufindenden - hochwertigsten Wiesen können etwa bis zu 70 verschiedene Gefäßpflanzenarten vorkommen.
Eine artenreiche Wiesenvegetation ist eng mit einer artenreichen Insektenfauna verbunden. Die Bäume mit ihren zahlreichen Strukturen wie Blüten, Blättern, Früchten, Höhlen und Borke bilden eine weitere Grundlage für eine artenreiche Insektenfauna.
In hervorragenden Streuobstwiesen können 2-3.000 verschiedene Insekten- und Spinnenarten vorkommen – ein unvorstellbarer Reichtum an Biodiversität mitten in unserer Landschaft. Ein Quadratmeter Obstwiese kann in einem Jahr etwa 8.000 Individuen von Insekten und anderen Kleintieren hervorbringen; diese wiederum dienen einer reichen Vogel- und Säugetierfauna als Nahrungsgrundlage.
Vogelwelt
Charakteristisch für Streuobstwiesen sind vielfältige Strukturen und ihr mehrschichtiger Aufbau, der sich aus der Kombination von hochstämmigen Obstbäumen und krautigem Unterwuchs ergibt. Sie stellen in dieser Form einzigartige Kulturbiotope mit einem hohen ökologischen Wert dar.
Streuobstwiesen sind unter anderem deshalb so arten- und strukturreich, weil sie zwei Lebensräume auf einer Fläche vereinigen: ein lichter, waldartiger Baumbestand aus Obstbäumen sowie Wiesen und Weiden im Unterwuchs.
Das natürliche Höhlenangebot wird von mehreren Faktoren maßgeblich beeinflusst: neben dem Baumalter sehr stark von der Baumart, aber auch von der Stammhöhe, dem Stammumfang und dem Pflegezustand. Sieben der zehn vogelkundlichen Ziel- und Leitarten der Region sind als Höhlenbrüter zwingend auf Baumhöhlen angewiesen: Halsbandschnäpper, Gartenrotschwanz, Steinkauz, Wendehals, Grün-, Grau- und Mittelspecht.
Juchtenkäfer bzw. Eremit
Lebensstätten des Juchtenkäfers sind mulmgefüllte Höhlen in verschiedensten Laubbäumen (Weiden, Eichen, Linden, Pappeln, Buchen, Edelkastanien, Kirsch-, Birnen- und Apfelbäume).
Besiedelt werden können fast alle Teile eines Baums: von Höhlen im Wurzelbereich bis hin zu hohlen Ästen, bevorzugt werden jedoch Stammhöhlen knapp oberhalb des Bodens. Der Eremit besiedelt vor allem besonnte, oftmals einzelnstehende, alte Bäume.
Ein Großteil der Tiere verlässt dabei zeitlebens die Baumhöhle nicht; so verlassen im Mittel nur 15 % der Tiere ihren Geburts-Baum und verbreiten sich dabei kaum mehr als 200 Meter; daher ist der Juchtenkäfer auf den langfristigen Erhalt alter Bäume in einem nahen Biotopverbund angewiesen. Werden seine Biotopbäume gleichzeitig gefällt, stirbt diese seltene Art mit einem Schlag in der ganzen Region aus. In den alten Obstbäumen der Region finden sich geeignete Lebensräume für diese überaus seltene Art.
 
Fledermäuse
Unsere 26 regelmäßig in Österreich vorkommenden Fledermausarten lassen sich grob in zwei Gruppen unterteilen: die einen, wie zum Beispiel das Mausohr oder die Kleine Hufeisennase, haben ihre Wochenstuben in menschlichen Gebäuden, zumeist in Dachböden.
Die zweite Gruppe, wie die Bechstein- oder die Mopsfledermaus, besiedeln mit ihren Jungen Baumhöhlen oder –spalten. Diese zweite Gruppe ist mit ihren Wochenstuben auch prominent in Streuobstwiesen mit gutem Höhlenangebot vertreten.
Beide Gruppen von Fledermäusen gemeinsam ist jedoch, dass sie das reiche Nahrungsangebot in Streuobstwiesen v.a. im Spätsommer nutzen und dann hier für sie wichtige Jagdhabitate vorfinden.
So verwundert es auch nicht, dass in den Streuobstwiesen des Mostviertels mit bis zu 13 Fledermausarten pro Streuobstwiese, rund 50 % der heimischen Fledermausfauna anzutreffen sind – ein unglaublicher Artenreichtum.